Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der Schweiz eine Zeit mit enormen Herausforderungen: 1847 kämpften im Sonderbundskrieg Schweizer auf Schweizer Boden gegen Schweizer. 1848 wurde der Staatenbund Schweiz in einen Bundesstaat umgewandelt. Diese politische Errungenschaft musste in den folgenden Jahrzehnten verdaut, eingeübt und gefestigt werden. 1871 floh die französiche „Bourbaki-Armee“ mit 87‘000 Mann vor den Deutschen in die Schweiz, was grosse Anforderungen mit sich brachte.
Die Industrialisierung förderte eine starke Landflucht, Umverteilung und Zunahme der Bevölkerung. Durch den Bau des schweizerischen Eisenbahnnetzes wurde der Transport von Waren und Personen revolutioniert. Gleichzeitig mussten bis 1877 aufgrund der tiefen Löhne oft auch Frauen und Kinder bis zu 90 Stunden pro Woche arbeiten. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Erfindungen, aber auch von grassierender Armut und moralischen Niedergängen.
1855 und 1867 wurde die Schweiz von Cholera-Epidemien heimgesucht, die jeweils mehrere hundert Tote forderten. Die Tuberkulose raffte im 19. Jahrhundert in Europa jährlich Hunderttausende dahin.
In einem Kulturkampf wurde der Einfluss der Kirche auf das neue liberal-säkulare Staatswesen eingeschränkt. Im Zuge des „Apostolikumsstreits“ wurde die Verpflichtung auf das Apostolische Glaubensbekenntnis in den evangelischen Landeskirchen in den 1870er-Jahren aufgehoben. Dies führte dazu, dass nicht-liberale Pfarrer und Gläubige (die sich nicht auf die aufkommend historisch-kritische, rationalistische Theologie einlassen wollten) sich von den Landeskirchen distanzierten und neue Gemeinschaften gründeten: Unter anderem ab 1872 Chrischona Gemeinden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab der Glaube an Jesus zahlreichen Menschen wie dir und mir die Kraft, mit solchen Herausforderungen und Möglichkeiten umzugehen und konstruktiv auf sie einzuwirken. Ihre Zuversicht, weil sie an Christus glaubten, hatte Auswirkungen auf ihr Denken, Reden und Handeln. Sie verkündeten das Evangelium und legten praktisch Hand an.
Unsere Wurzeln liegen in einer Zeit, deren Herausforderungen nicht kleiner waren als unsere heutigen. In solchen und für solche Zeiten: Viva Kirche Schweiz.
Christian Haslebacher
Vorsitzender und Regionalleiter Ostschweiz